
Wenn verlorene Zähne Beschwerden machen
Ein unauffälliges Röntgenbild, keine erkennbaren, klinischen Veränderungen und trotzdem leiden Patient oder Patientin seit Monaten unter Schmerzen. Die „atypische Odontalgie“ wurde bereits vor über 200 Jahren beschrieben. Doch nur wenige Spezialisten kennen sich aus.
Am Schlimmsten ist für die Betroffenen das Gefühl, dass ihr behandelnder Zahnarzt glauben könnte, sie würden sich das Ganze nur einbilden. Dabei erwacht der Schmerz typischerweise kurz nach dem eigenen Aufwachen zum Leben und führt über Tag zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität. Bei glücklicheren Verläufen halten die Beschwerden nur ein paar Wochen an. Wer Pech hat, leidet über Jahre.
„Dabei reicht die Bandbreite der Qualen von leicht-brennend bis zu scharf-pulsierend“, weiß Dr. Dr. Hans-Peter Ulrich von der Vereinigung European Centers for Dental Implantology (ECDI). „Wegen der Ähnlichkeit der Symptome mit normalen Zahnschmerzen ist der Zahnarzt meist erste Anlaufstelle – zumal dann, wenn in der Schmerzregion häufig kurz zuvor eine Wurzelspitzenresektion oder eine Zahnentfernung stattgefunden hat.“
Doch diesmal wird der Zahnarzt nichts finden: Das Röntgenbild bleibt unauffällig. Und beobachtbare Veränderungen gibt es auch nicht. Schlimmer noch: Jeder Eingriff im beklagten Bereich verschlimmert zumeist das Leiden. So ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis sich der Betroffene hilfesuchend an einen neuen Arzt wendet – zwar eindeutig mit Schmerzen, aber ohne klaren Befunden.
Untersuchungen ergaben, dass es im Durchschnitt bis zu sechs verschieden Ärzte braucht, bis die Ausschlussdiagnose „atypische Odontalgie“ gestellt wird. Obwohl vor über 200 Jahren das erste Mal vom Londoner Chirurg John Hunter beschrieben, fand der Phantom-Zahnschmerz erst von wenigen Jahren Aufnahme in die Klassifikation der Kopfschmerzen. Kein Wunder also, dass das „Zahnphantom“ relativ unbekannt ist.
„Analog zum Phantomschmerz, der bei Amputation von Gliedmaßen auftritt, kann Ähnliches auch beim Durchtrennen von Nervenfasern, die die Zähne versorgen, auftreten“, weiß ECDI-Mitglied Dr. Dr. Ulrich. „Die beobachtete Häufigkeit schwankt dabei unpräzise zwischen unter einem bis über 17 Prozent. Was man aber ziemlich genau weiß: Das Risiko steigt, wenn es nach der Behandlung zu massiven Schmerzen kommt.“
Deshalb ist die beste Vorbeugung ein modernes Schmerzmanagement, wie es alle ECDI-Zentren in Deutschland anbieten. Dadurch kann – individuell auf den Patienten zugeschnitten – das jeweils beste Anästhesieverfahren angeboten werden. Dr. Dr. Ulrich: „Goldstandart für kleinere Eingriffe und Behandlungen bleibt die örtliche Betäubung – auch deshalb, da die Schmerzrezeptoren in der unmittelbaren Umgebung der Behandlungsstelle ausgeschaltet werden. Eine Sensibilisierung des zentralen Nervensystems wird so verhindert. Größere oder längere Eingriff können dann kombiniert im Dämmerschlaf oder in der Total-intravenösen Anästhesie (TIVA) erfolgen.“
Doch auch bei bereits bestehenden Phantomschmerzen gibt es Hilfe. So können niedrig dosierte, sogenannte trizyklische Antidepressiva in Kombination mit lokalen Betäubungen mit Capsaicin häufig lindern. Auch das Antiepileptikum „Gabapentin“ steht für einen Therapieversuch zur Verfügung. „Von größter Bedeutung für den Heilungsverlauf ist aber vor allem die korrekte Diagnose durch den Spezialisten. Das Wissen, dass hinter den Schmerzen keine ernsthafte Gefahr steckt, ist für viele Patienten nach der langen Zeit der Ungewissheit der erste Schritt zur Heilung“, so Dr. Dr. Ulrich.