
Was ist mit Allergien und Unverträglichkeiten?
Seit Jahrzehnten gilt Titan als bestes Knochen-Ersatz-Material in der Medizin. Recherchiert man jetzt im Internet, kommen Zweifel auf: Patienten befürchten offenbar Nebenwirkungen
Der größte Gewinn ist das Gefühl von Normalität. Wieder mit eigenen Zähnen zu kauen, zu sprechen, zu lachen. Nichts kann auf- oder gar herausfallen. Mehr als eine halbe Million Implantate – fast alle aus Reintitan – werden inzwischen pro Jahr in Deutschland als Ersatz für fehlende Zahnwurzeln in Ober-oder Unterkiefer eingepflanzt.
Genauso hoch ist – laut einer Studie der Universität Erlangen Nürnberg – die Erfolgsquote: Nur fünf von 100 Implantaten gehen in den ersten fünf bis zehn Jahren verloren. „Aus unterschiedlichen Gründen“, weiß Dr. Matthias Kaupe von den European Centers for Dental Implantology (ECDI). „So ist das Misserfolgs-Risiko z.B. bei Rauchern erhöht. Medikamente und Bakterien können den festen Knochenhalt gefährden. Auch die Fähigkeit des operierenden Arztes und die richtige Positionierung des Implantats spielt eine entscheidende Rolle. Dazu kommen statistische Auffälligkeiten, z.B. dass Implantate in bezahnten Kiefern besser einwachsen.“
Von Seite der Patienten wird außerdem in den letzten Jahren zunehmend das Thema ,Material’ angesprochen: wie verträglich ist Titan? Sind Reaktionen – wie bei einer Nickelallergie – zu befürchten? Kann das Implantat abgestoßen werden?
Macht man sich dazu im Internet auf die Suche, wird man schnell fündig. Umweltmediziner, Heilpraktiker, sogar Kinesiologen lehnen Titan-Implantate ab. Ein Institut hat festgestellt, dass fast jeder sechste Deutsche auf das erst vor gut 200 Jahren entdeckte Metall mit Entzündungen reagiert. Dazu werden verschiedene Verträglichkeitstests zwischen 200 bis 450 Euro angeboten. Außerdem wird auf die hohe Verträglichkeit des wiederentdeckten (Keramik)-Zirkon-Implantats verwiesen.
„Kein Wunder, dass Patienten in der Gemengelage aus Einzelinteressen die Übersicht verlieren“, klärt ECDI-Mitglied Dr. Matthias Kaupe aus Düsseldorf auf. „Da ist es hilfreich zu wissen, dass die tatsächliche Zahl der Komplikationen – aus welchem Grund auch immer – viel kleiner ist, als die `neuentdeckte Gruppe´ der Titan-sensiblen Menschen.“
Fakt ist: Ob Hüftprothesen, Schädeldeckenplatten oder Schrittmachergehäuse – die Medizintechnik wurde in den vergangenen 30 Jahren durch die Verwendung von Titan geradezu revolutioniert. Und ein adäquater Ersatz ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Immer neue Möglichkeiten werden entdeckt. So ist das erste vollständig implantierbare Kunstherz aus Polyurethan und Titan gefertigt. Und im Ohr kann ein aus Titan nachgebildetes Knöchelchen die Hörfähigkeit verbessern.
Dr. Matthias Kaupe: „Der große Vorteil des Werkstoffs liegt in seiner Oberfläche: Gewebs- und Knochenzellen können besonders gut am Implantat anwachsen. Das spezifische Gewicht ähnelt dem des Knochens. Es ist im höchsten Maße korrosionsbeständig gegenüber Körperflüssigkeiten – und: Reines Titan verursacht definitiv keine allergischen Reaktionen, da es keine `Andockstellen´ für Körpereiweiße bietet.“
Die angeblich „moderneren“ und schöneren Zirkonumoxid-Keramik-Implantate sind außerdem nicht so unproblematisch, wie man nach der Lektüre vermuten möchte: Keramikimplantate müssen im Mund beschliffen werden. Das kann wegen des äußerst harten Materials zu hohen Temperaturen und so zur Schädigung des Knochens führen. Nach der Operation kann außerdem eine direkte Belastung durch Zungen- und Kaubewegungen das Einheilen behindern.
„Zu Keramikimplantaten gibt es keine verlässlichen Langzeitergebnisse – im Gegensatz zu 30 Jahren Erfahrung mit Titan“, weiß Dr. Matthias Kaupe. „Deshalb ist es kein Wunder, dass 95 Prozent aller Implantate, die in den ECDI-Zentren eingepflanzt werden, weiterhin aus Titan bestehen.“