
Oft sind Zahn- und Kieferprobleme die Ursachen
Sollte ein von chronischen Kopfschmerzen oder Migräneattacken gepeinigter Patient zuerst Rat beim Fachzahnarzt suchen? Was zunächst unwahrscheinlich klingt, ist durchaus vernünftig. Denn der Kauapparat beeinflusst die Gesundheit des gesamten Organismus stärker, als vielen Menschen bewusst ist. „Insbesondere eine Fehlstellung des Kiefers hat oft fatale Auswirkungen in Form von Kopf-, Nacken- oder Gesichtsschmerzen“, weiß Dr. Bernhard Drüke vom ECDI-Zentrum in Münster. Auch kariöse Zähne, Wurzelinfektionen, verlagerte Zähne, Parodontitis oder schlecht funktionierender Zahnersatz gelten als Urheber von Schmerzen, die der Patient nicht in Mund oder Kiefer, sondern an ganz anderen Stellen spürt.
Die Medizin fasst die Fehlregulierung des Kiefergelenks, des Zahnhalteapparats und der Kaumuskeln, die sich auf weitere Knochen, Muskeln und Nerven auswirken kann, unter dem Begriff Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) zusammen. Mindestens 20 Prozent der Bevölkerung leben mit einem nicht optimal funktionierenden Kiefergelenk bzw. Fehlfunktionen des Zahnhalteapparats und der Kaumuskeln. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. Ursachen können sein: Fehlstellungen des Kiefers oder der Wirbelsäule, entfernte Zähne, Arthritis, Arthrose, Veränderungen in der HWS, Unfälle und häufig auch Stress. Als häufige Ursache kommt neben einer Fehlstellung des Kiefers das Zähneknirschen in Frage. CMD ist eine sehr komplexe Erkrankung, die häufig nur interdisziplinär und ganzheitlich behandelt werden kann.
Dr. Drüke kennt die Probleme der Betroffenen gut: „Das Resultat sind schmerzhafte Verspannungen im gesamten Kopf- und Nackenbereich, mitunter sogar in Hüft- und Kniegelenken. Kopfschmerz oder Migräne können auch deswegen auftreten, weil Betroffene – meist unbewusst – ihre Kieferfehlstellung durch eine unnatürliche Haltung auszugleichen versuchen.“ Diese Fehlregulationen können schmerzhaft sein oder zu Knack- und Knirschgeräuschen führen.
Eine Vielzahl von Symptomen können auftreten, z.B. ausstrahlende Schmerzen in Mund, Gesicht, Kopf, Nacken, Schulter oder Rücken, Hals-Wirbelsäulen-Schulterprobleme, eingeschränkte Kopfdrehung, Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen oder Kiefergelenksschmerzen beim Kauen. Die Kieferöffnung kann eingeschränkt sein.
Unterschiedliche Warnzeichen
Auf diese Symptome sollten Kopfschmerz- und Migränepatienten achten, wenn Sie noch keine Ursachen für ihre Probleme gefunden haben:
✓ nächtliches Zähneknirschen: Auch wenn die Patienten es selbst gar nicht registrieren – ihr Zahnarzt erkennt es bei der Überprüfung der Abriebflächen ihres Gebisses sofort.
✓ ein Knacken oder eine spürbare Bewegung im Kiefer beim Gähnen oder beim weiten Öffnen des Mundes.
✓ Druckgefühl und / oder Schmerzen in Kiefer und Kiefergelenk
✓ Schmerzen in den Kaumuskeln
✓ Ohrenschmerzen mit unklarer Ursache
✓ Schwindelgefühl, Tinnitus (lat.: „das Klingeln der Ohren“)
Um Entstehung und Auswirkungen von CMD erkennen zu können, empfiehlt sich neben digitaler Röntgendiagnostik das exakte Vermessen der Kiefermechanismen. Aus den Daten lässt sich ein Modell konstruieren, das das Zusammenwirken von Kiefergelenk, Muskulatur und Gebiss millimetergenau darstellt.
MKG-Chirurgen und Oralchirurgen sind CMD-Spezialisten
Viele ECDI-Ärzte sind Fachzahnärzte für Oralchirurgie oder Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen und damit auf die Versorgung von CMD-Betroffenen bestens eingestellt. Der wesentliche Vorteil für die Patienten: Schmerzverursachende Störungen im Bewegungsapparat des Kiefers werden mit einem ganzheitlichen Ansatz diagnostiziert und therapiert.
„Oft lässt sich mit kieferchirurgischen oder kieferorthopädischen Maßnahmen bereits Abhilfe schaffen“, berichtet Dr. Drüke. „Falls erforderlich, werden bei der Therapie auch weitere Spezialisten wie Kieferorthopäden, Neurologen, HNO-Ärzte oder Physiotherapeuten mit eingebunden.“ Alternativ oder begleitend sind zudem physikalische Behandlungsansätze wie Wärme- oder Kältetherapie, Physiotherapie und medikamentöse Behandlung möglich.
Vielfach spielen bei der Entstehung von CMD Faktoren wie Überarbeitung oder Stress, auch Ängste oder Depressionen eine Rolle. In solchen Fällen sollte die Therapie auch die Psyche und das soziale Umfeld miteinbeziehen.
Häufig kann eine fatale Wechselwirkung zwischen Kiefergelenk und Kopfschmerz durch ein einfaches, aber umso wirksameres Instrument gemildert oder ganz beseitigt werden: Eine individuell gefertigte Aufbissschiene kann die Fehlstellung kompensieren – und auch dem Zähneknirschen ein Ende setzen.